Gleichheit

Gleichheit: Traum oder Albtraum?

Matthias Knoth, D-Plauen Projektingenieur, Coach und Trainer für Führungskräfte, Inhaber von IMPULS business mit Ehepartnerin Elisabeth Knoth gemeinsam Studienleiter IVCG young professionals Deutschland und im Team der Regionalleitung für Sachsen/Thüringen.

»Die Gleichheit ist eine sehr natürliche Sache, aber dabei doch das größte Hirngespinst.« Dieser Satz von Voltaire ist einer von Hunderten, die man zum Thema Gleichheit findet. Er drückt die ganze Zwiespältigkeit dieses Begriffes aus. Ist es nicht der ewige Traum der Menschheit? Wer wünscht sich nicht, gleiche Lebenschancen zu haben, vor dem Gesetz gleich behandelt zu werden, für die gleiche Leistung auch gleich bezahlt zu werden, gleiche Anerkennung zu genießen, gleiche Lebensbedingungen vorzufinden und gleichen Einfluss auf die Gesellschaft ausüben zu dürfen wie andere? Doch die Bewertung, ob all diese Dinge gerade jetzt auf mich zutreffen, hängt entscheidend von meinem Blickwinkel ab. Schau‘ ich zu denen, die von all dem weniger haben, geht es mir gut und ich schere mich wenig um Gleichheit. Sobald ich jedoch im Vergleich mit anderen das Gefühl habe, in einem Bereich zu kurz gekommen zu sein, werde ich zumindest unzufrieden. Grund genug, um Veränderungen herbeizuführen und mich in eine bessere Position zu bringen. Das beginnt schon im Kleinen. Als es zu DDR-Zeiten das Glück gab, eine Tafel Westschokolade an unsere beiden Jungs zu verteilen, haben wir immer peinlich drauf geachtet, dass jeder gleich viel bekam. Doch was war das Ergebnis? Der Große hat sich beschwert, dass er kein größeres Stück bekommt, denn er ist ja zwei Jahre älter als sein Bruder. Ist das nicht unsere tägliche Erfahrung? Wir fordern einerseits Gleichheit ein, sind aber anderseits der Meinung, dass gerade uns eine Sonderbehandlung zusteht. Aber wir gehen noch einen Schritt weiter. Wir fordern oft Gleichheit für uns ein, aber gestehen sie anderen nicht zu. Ein unlösbarer Konflikt?

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass diese Auseinandersetzung schon seit Generationen geführt wird. Als 1789 in Frankreich mit dem Sturm auf die Bastille die Französische Revolution begann, klang der Ruf nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sehr edel. Der Anfang stand im Zeichen des Kampfes für bürgerliche Freiheitsrechte. Doch bereits ab 1792 errichtete man eine Republik mit radikaldemokratischen Zügen und bildete eine Revolutionsregierung, die mit Mitteln des Terrors und der Guillotine alle ‘Feinde der Revolution’ verfolgte. Insgesamt wurden während der Französischen Revolution vermutlich weit über 20 000 Menschen hingerichtet. Gleichheit? Brüderlichkeit? Freiheit? Diese ‘Tradition’ lässt sich auch in der Geschichte des vergangenen Jahrhunderts erkennen. Es ist das Muster von Ideologen und Diktatoren, Menschen gleichzuschalten, zu uniformieren. Menschen mit anderer Meinung zu unterdrücken oder sogar auszuschalten.

Ich bin froh, in einem Land zu leben, in dem der Grundsatz gilt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. In der ‘Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte’ der Vereinten Nationen steht: »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.« Unser Grundgesetz in Deutschland verbietet es, jemanden wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens oder seiner religiösen oder politischen Anschauungen zu benachteiligen oder zu bevorzugen. Doch wie sieht die konkrete Umsetzung im Alltag aus? Was sind die Probleme der Gleichheit?

Im Rechtslexikon steht: »Der Gleichheitsgrundsatz bedeutet aber nicht, dass alle Menschen absolut gleiche Rechte und Pflichten hätten. Vielmehr gebietet er, natürliche Unterschiede zu beachten und zu berücksichtigen, da sonst die totale Gleichheit wegen der vorgegebenen Unterschiede (z.B. hinsichtlich Begabung, Vermögen, Herkunft) letztlich in eine totale Ungleichheit umschlagen würde. Der Gleichheitsgrundsatz verlangt daher vom Staat, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln.« Der Mensch ist also aufgefordert abzuwägen, wo er Gleichheiten als maßgebend ansieht und wo er zu differenzieren hat. Dort wo eine Gruppe gegenüber anderen die Gleichheit durchsetzt und dabei die Unterschiede ignoriert, kollidiert sie sehr schnell mit der Freiheit der anderen, es entsteht Ungleichheit. Unbedingte Gleichheit führt ebenso zu Ungerechtigkeit. Das ist in vielen Bereichen des Lebens zu beobachten. Es beginnt in der Schule, wenn für alle Schüler gleiche Ergebnisse eingefordert werden, ohne Unterschiede im Leistungsvermögen zu beachten. Ein Kind, dem das Lernen schwerfällt, quält sich durch die Schulzeit. Ein lernbegabtes Kind steigt aus, weil ihm zu langweilig wird. Alle Mitarbeitenden in einem Unternehmen gleich zu bezahlen bedeutet, nicht zu sehen, welche von ihnen das Unternehmen voranbringen beziehungsweise welche nur ‘Dienst nach Vorschrift’ machen. Im Ergebnis würde die Motivation für hohe Leistungen sinken. Gleichheit kann auch heißen, Hervorragendes einzuebnen und so das Niveau auf Mittelmaß zu senken.

Menschen mit und ohne Handicap gleich zu behandeln kann im negativen Fall heißen, dass sich niemand Gedanken darüber macht, wie zum Beispiel durch bauliche Veränderungen allen Menschen die Teilhabe an der Arbeits- und Lebenswelt zu ermöglichen ist.

Deshalb ist es für ein gedeihliches Zusammenleben viel wichtiger, dass wir eine Kompetenz entwickeln und unterscheiden, wann es besser ist, in guter Weise Ungleichheit zu bekämpfen, um für Gerechtigkeit einzutreten, und wann wir sie gerade als Chance für Entwicklung sehen sollten. Doch welcher Maßstab soll dafür gelten? Wir merken, dass wir aufgrund unseres Unvermögens, unseres Egoismus und unserer Schuldhaftigkeit trotz guter Vorsätze immer wieder scheitern. Das Gefühl, zu kurz zu kommen, lässt uns immer wieder Grenzen überschreiten, die Achtung anderer vergessen. Als Christ lebe ich davon, dass Jesus Christus mich liebt, so wie ich bin, ohne etwas leisten zu müssen und mit allen meinen Fehlern. Ich brauche mir also meinen Wert nicht selber zu geben oder von anderen einzufordern. Jesus hat den einzigen Weg vorgelebt, der es ermöglicht, das Dilemma aus Gleichheit und Ungerechtigkeit aufzulösen. Von ihm stammt der Satz: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.« Das heißt konkret: Als von Gott geliebter Mensch darf ich lernen, von mir wegzuschauen und meinem Mitmenschen Lebensraum zu ermöglichen. Paulus, ein früher Theologe, schreibt: »Nehmt einander an, so wie Christus euch angenommen hat.«1 Wissen Sie sich von Christus angenommen? Oder könnten Sie ihn annehmen? Wie wäre es, ab heute so zu leben, als wäre das Realität?

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1
Römer, Kapitel 15, Satz